Angst

Wie jede Emotion ist Angst ein komplexes Phänomen. Klar ist aber, dass wir lernen können, unsere Emotionen zu beeinflussen, und Angst macht da keine Ausnahme.

Wie jede Emotion ist Angst ein Wegweiser für uns und hat eine Funktion. Unsere Angst soll uns z.B. klar machen, dass da drüben Gefahr lauert. Im Kern ist sie dafür da, uns zu schützen. Außerdem gibt es niemanden, der oder die keine Angst hat. Angst zu fühlen ist etwas ganz normales und dazu noch nützliches. Unsere Angst loszuwerden kann also nicht das Ziel sein.

Problematisch wird es, wenn die Angst auch da Gefahr anzeigt, wo keine ist oder wenigstens keine Gefahr im Verzug. Zum Beispiel beim Sportklettern in gut abgesicherten Routen. Das ist zwar recht sicher, aber auch da bekommen viele KletterInnen Angst, wenn sie den sicheren Hafen eines Bohrhakens hinter sich lassen. Die Angst schafft es dann nicht, vernünftig ihre Funktion zu erfüllen.

Was tun? Ich glaube, es lohnt sich, zunächst wenigstens kurz und wertfrei darüber nachzudenken, ob es eine Option für dich wäre, das Klettern ganz oder zeitweise an den Nagel zu hängen. Wenn die Situationen der Angst so quälend für dich sind und du deine Uhr nach ihnen stellen kannst, wieso setzt du dich dann immer wieder solchen Situationen aus? Ergibt es dann nicht mehr Sinn, etwas mit deiner Zeit anzufangen, was dir mehr Freude bzw. weniger Leid bereitet?

Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, was dich zum Klettern motiviert, wie schlimm deine Angst ist und wieviel Kraft du im Moment aufwenden kannst, um dich ihr zu stellen. Wenn es dir um Zeitvertreib und Fitbleiben geht, findest du sicher eine andere Sportart, bei der du dich weniger ausgesetzt fühlst. Wenn du einen wohlüberlegten Rückzug antrittst, hast du etwas für dich getan und eine mutige Entscheidung getroffen. Wenn du aber aus guten Gründen nicht bereit bist, das Klettern aufzugeben, dann kannst du es nutzen, um über dich selbst hinauszuwachsen. Das eigentliche Ziel ist dann gar nicht mehr, deine Angst in den Griff zu bekommen, um freier oder besser zu klettern. Das Ziel besteht darin, zu klettern, um deine Angst in den Griff zu bekommen.

Wie geht das? Sich mit sich selbst und den eigenen Emotionen auseinanderzusetzen, ist herausfordernd und bereichernd zugleich. Es gibt keinen einfachen oder mühelosen Weg. Die gute Nachricht ist, dass es einen Weg gibt – und es sich lohnt in zu gehen. Wenn man die Stellschraube findet, die für eine oder einen die richtige ist, kann es sogar überraschend schnell gehen. Dafür braucht es aber erst einmal eine Entscheidung. Deine Entscheidung, wirklich etwas fundametnal anders zu machen. Die braucht Mut. Aber braucht sie vielleicht nicht doch weniger Mut als dauerhaft mit deiner Angst weiter zu klettern und zu leben?

Jede/r von uns ist individuell. Reines Mentaltraining hat da seine Grenzen, wo eine psychologische Begleitung und Therapie notwendig ist. Aber es gibt ein paar Dinge, die wir alle tun können, um unsere Angst in den Griff zu bekommen. Hier sind ein paar Vorschläge:

Beobachte. Lerne deine Innenwelt zu beobachten. Du bist nicht identisch mit deinen Gefühlen oder deinen Gedanken. Nicht alles, was dir dein innerer Dialog anbietet, ist wahr. Wenn du das nächste Mal Angst hast, halte inne, und mach dir das klar. Konzentriere dich auf deinen Atem und schau nur zu. Wenn du denkst, dass deine Arme zulaufen und du nicht mehr weiter kannst, heißt das nicht, dass du wirklich nicht mehr weiter kannst. Wenn du eine lähmende Angst fühlst, sobald du über einen Haken kletterst, heißt das nicht, dass du die Kontrolle verlieren musst oder stürzen wirst. Solltest du doch stürzen, bedeutet das außerdem noch lange nicht, dass du dich verletzen wirst. Entwickle deine Fähigkeit, deinen inneren Dialog und deine Gefühle wertfrei zu beobachten. Du kannst lernen, die Angst wahrzunehmen und zu akzeptieren, ihr aber bewusst deine Aufmerksamkeit zu entziehen, wenn sie deine Aufmerksamkeit im Moment nicht wert ist.

Sorge für dich. Hast du dich schon einmal gefragt, wieso du eigentlich Angst hast? Über welches Bedürfnis will dir deine Angst etwas sagen? Geht es da um körperliche Unversehrtheit oder etwas anderes: Kontrolle, (Selbst-)Vertrauen, Verlust oder deinen Selbstwert? Hör in dich rein und denk darüber nach, was du brauchst, um dich sicherer zu fühlen. Sorge für dich und deine Bedürfnisse. Steige vielleicht nur an Tagen vor, an denen du dich gut, sorgenfrei und sicher fühlst. Oder braucht es eine bestimmte Person, die dich sichert, damit du dich auch sicher fühlst? Brauchst du im Grunde Ruhe, aber zwingst dich aus anderen Gründen jetzt Leistung abzuliefern? Welche Gründe sind das? Sei geduldig mit dir selbst und mach dich nicht fertig, wenn es anders läuft, als du es von dir erwartet hast.

Rede und denke achtsam. Wie wir über etwas reden oder denken, beeinflusst auch, wie wir es wahrnehmen und wie wir zu ihm stehen – uns selbst eingeschlossen. Sei im inneren Dialog mit dir befreundet. Rede mit dir selbst wie mit einer Person, deren Wohl dir am Herzen liegt und die du unterstützen möchtest. Werde dein Fan, und wenn du es dir am Anfang einfach vorspielen musst. Versuche mal, dich bei allen fiesen Sachen zu ertappen, die du an einem beliebigen Tag zu dir selbst sagst, und ersetze sie am nächsten Tag bewusst mit netten Sachen. Achte auch darauf, wie du über die Dinge selbst denkst und sprichst. Die „Kackleiste“ und der „Schmiertritt“ werden dir wohl kaum das Vertrauen geben, dass du brauchst, um sie zu belasten. Wenn du dich darauf konzentrierst, dass eine Route gruselig „aussieht“, wird dir kaum auffallen, dass es da eine Ruheposition, hier einen guten Seitgriff und dort eine Möglichkeit gibt, dich zusätzlich mobil abzusichern.

Lerne. Gerade Sportklettern ist eine sichere Sache. Das gilt aber nur dann, wenn wir keine Fehler machen. Wir müssen wissen, was wir tun und gründlich sein. Lerne zu sichern, lerne zu stürzen, informiere dich über die Festigkeit von Haken, die Bruchlast deiner Karabiner und die Normwerte deines Seils. Werde Experte/In. Schaffe dir außerdem eine solide Basis. Wenn du in bestimmten Graden Angst bekommst, weil dir die Arme zulaufen, dann klettere etwas Leichteres und baue langsam darauf auf. Klettere viel davon und klettere es im Vorstieg. So gewöhnst du dich an das Gefühl, dass du oberhalb des Hakens die Kontrolle behalten kannst. Eigne dir Strategien an, die du in Situationen der Angst anwenden kannst. Übe zum Beispiel ein paar Züge abzuklettern, lerne Kontakt zu deinem Atem aufzunehmen oder lege dir Sätze bereit, mit denen du dir innerlich Mut zusprechen kannst, wenn du ihn brauchst. Visualisiere im Vornherein, wie es sein wird, wenn die Angst kommt, und lege dir am Boden in Ruhe die Strategien zurecht, die du dann anwenden wirst.  

Sammle positive Erfahrungen. Gehe aus der Komfortzone, aber sei nachsichtig mit dir. Du wirst jede schlechte Erfahrung teuer bezahlen. Mach vernünftiges Sturztraining zum Teil deiner Kletterpraxis, in kleinen Schritten, ohne zuviel zu wollen, abgesprochen und mit jemandem, der oder dem du vertraust. Sprich mit deiner Sicherungsperson über den Ausgang möglicher Stürze und macht ab, wie du gesichert werden willst. Schreibe deine positiven Erfahrungen auf – und nur die positiven.

Sei dir selbst genug. Du bist das Maß. Ärgere dich nicht darüber, dass du Angst hast. Du bist gut so, wie du bist. Konzentriere dich auf deinen eigenen Weg, sei geduldig und vergleiche dich nur mit dir selbst.

Ich hoffe, du kannst mit diesen Ideen etwas anfangen. Wenn du Lust hast, schreib mir und lass mich wissen, ob dieser Text hilfreich war oder du noch Fragen hast.

Viel Spaß beim Wachsen.

Alles fließt.

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